Cartagena de Indias, oder einfach nur
Cartagena (
Wikipedia Cartagena). Diese Stadt ist wahrscheinlich der geschichtsträchtigste Ort ganz Kolumbiens. Einst durch unglaublichen Reichtum charakterisiert, ist sie heute zweifellos
die touristische Hochburg des Landes. Zur Zeit, als die Spanier über Süd- und Mittelamerika herrschten und diese ausbeuteten, war Cartagena jeweils der letzte Stopp vor der Überquerung des Atlantiks. Dementsprechend wurden hier die ganzen Gold- und Silbervorräte zwischengelagert, bevor man sie nach Spanien transportierte. Dies war Fluch und Segen zugleich, da es die Stadt zu einem attraktiven Ziel für Piraten und andere Kolonialmächte machte. Aus diesem Grund bauten die Spanier mehrere Forts, um die Stadt sowohl von der Meer- als auch von der Landseite zu schützen. Trotzdem wurde
Cartagena im Laufe des Kolonialzeitalters von den Franzosen und Briten angegriffen. Wer mehr über die spannende Geschichte und die heutige Situation der Stadt lesen möchte, klicke auf obigen Link.
Nunja, am Freitag Nachmittag komme ich also im
Terminal de Transporte an. Einmal mehr der gleiche Ablauf; Rucksack anziehen, Taxi nehmen und zum Hostel der ersten Wahl fahren. Dort hat es zur Abwechslung sogar ein Bett in einem Dreierzimmer für mich, aber insgesamt gefällt mir das Hostel nicht wirklich. Es ist nicht wirklich sauber, wirkt alt und verfügt über keine einladende Atmosphäre. Am Abend gehe ich zum ersten Mal in die Altstadt, die Kamera lasse ich "zu Hause". Als ich durch den
Torre del Reloj, den Haupteingang in die Altstadt
Cartagenas, gehe, betrete ich eine andere Welt. Man könnte meinen, für diesen Ort hätte die Zeit stillgestanden. Wo man hinsieht, stehen alte Kolonialbauten in allen möglichen Farben. Der architektonische Charme
Cartagenas ist definitiv erhalten geblieben und gleichzeitig der Grund für den blühenden Tourismus. Doch die Begeisterung währt nicht lange; bald werde ich ein erstes Mal von einer Prostituierten und kurz darauf von einem Drogendealer angesprochen. Leider bleibt es nicht bei diesem einen Mal. Während des ganzen Abends werde ich immer wieder als potentieller Kunde ins Auge gefasst, irgendwann nervt es einfach nur noch. Auch die vierstellige Zahl von Touristen, sie sind überall zu sehen, trübt den Abend. Nach ein paar Bieren gehe ich zurück, ich bin immer noch müde von der Busfahrt und gereizt von der in der Altstadt herrschenden Atmosphäre.
Am nächsten Morgen erwache ich eher früh. Neuer Tag, neues Glück! Ich will es ausnutzen, dass es am frühen Morgen noch nicht so heiss ist (das Thermometer überschreitet die 30 Grad Grenze scheinbar mühelos...) und mir die Altstadt noch einmal bei Tageslicht ansehen. Doch zuerst mache ich mich auf die Suche nach einem anderen Hostel. Die neue Unterkunft meiner Wahl ist für den heutigen Tag noch ausgebucht, doch morgen kann ich einziehen.
 |
| Das (international bekannte) Kongresszentrum Cartagenas |
 |
| Torre del Reloj |
 |
| Einer arbeitet, der Rest schaut zu ;-) |
 |
| Altstadt |
 |
| Und da sind sie wieder, die Touristen... |
 |
| Gruppe 1911, mir nach! |
 |
| Solche Kutschen sind ein beliebtes Fortbewegungsmittel der Touristen |
 |
| Schön wäre es ja schon... |
Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, was ich von der Stadt halten soll. Einerseits verfügt sie über einen sehr schönen und vor allem gut erhaltenen kolonialen Baustil. Andererseits habe ich aufgrund des extremen Tourismus einen "Ablöscher", wenn ich überall nur Ü65-Reisegruppen sehe, in ihren typischen weissen Hemden, den sandfarbenen, kurzen Hosen und ihren Sandalen. Strauhut, überdimensionierte Kamera (selbstverständlich um den Hals baumelnd) und teuer Schmuck optional. Sie sind der Grund, wieso Cartagena zwar noch "wie früher" aussieht, aber alles andere als authentisch ist.
Während dem ich im Schatten bei einem kühlen Fruchtsaft zusehe, wie der Massentourismus seinen Lauf nimmt, wird mir klar, dass es einen gewichtigen Unterschied zwischen
Reisen und
Tourismus gibt. Ein Reisender will fremde Orte sehen und Kulturen erfahren und dabei wenn immer möglich nahezu "unsichtbar" sein, damit er das Umfeld, und somit dessen Authenzität, nicht stört. Ein Tourist auf der anderen Seite will seine Anwesenheit regelrecht zelebrieren und sich so selbst in den Mittelpunkt stellen. Es geht ihm gar nicht darum, eine fremde Kultur zu betrachten. Das einzige Ziel ist es, einen fremden Ort zu
sehen und dabei wenn immer möglich den gewohnten, gehobenen Lebensstil aufrechtzuerhalten. Man besucht bekannte Restaurants und bleibt bei internationaler Küche (ausser die lokale Küche ist auch im Heimatland bekannt, denn dann will sich niemand diese Chance entgehen lassen) und trinkt international geachteten Wein. Man ist ja schliesslich in den Ferien und will sich etwas gönnen. Ein Tourist erwartet, dass man an seiner Destination auf ihn "wartet" und sämtliche Annehmlichkeiten für ihn vorbereitet. Seine Präsenz soll von den Einheimischen faktisch "gefeiert" und mittels möglichst vielen Bildern, mit eben diesen überdimensionierten Kameras, welche von 90% der Besitzer gar nicht richtig bedient werden können, festgehalten werden. Ein Tourist stellt sich selbst ins Zentrum einer Reise, während dem ein Reisender sich auf das Geschehen um ihn herum konzentriert. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich meinen Sprachaufenthalt in
Bogotá und nicht wie zuerst geplant in
Cartagena gemacht habe. Ich habe zwar in einer wesentlich internationaleren Stadt gelebt, dafür verfügt diese aber über eine Authenzität, was ich von
Cartagena schlichtweg nicht behaupten kann.
Manchem Leser mag der vorherige Abschnitt als "Gejammer" oder einem "sich Beschweren" erscheinen. Dies deckt ein anderes Thema ab, welches mich in den letzten Tagen beschäftigt hat. Auf meiner Reise habe ich mittlerweile zu viele Personen getroffen, welche immer alles toll finden. Egal ob es sich um eine Mahlzeit, einen Ort oder einen Ausflug handelt, alles ist entweder "Awesome" oder "Absolutely incredible". Ist man ehrlich und gibt einmal zu, wenn einem etwas nicht passt, oder nicht den Erwartungen entspricht, wird man sofort als Nörgler oder Pessimist abgestemptelt. Selbstverständlich muss man seine Ansprüche in gewissen Bereichen anpassen und auch immer die Bedingungen in ein Urteil miteinbeziehen. Dennoch fangen mich Menschen an zu nerven, welche aus einem zwanghaften Optimismus heraus nichts kritisieren können oder wollen. Nur weil etwas nicht
absolut-super-und-das-Beste-das-ich-je-gesehen-habe ist, heisst es noch lange nicht, dass es einem
nicht gefällt oder keine gute Erfahrung war. Ich möchte meine Tage in
Cartagena überhaupt nicht missen und bin froh über die Erfahrung. Es ist wieder ein weiteres Puzzle-Teil, welches meinen Horizont erweitert. Dennoch muss ich (zumindest) mir selbst gegenüber ehrlich sein und mir eingestehen, dass ich mir von
Cartagena mehr erhofft habe. Wenn ich nun wie alle anderen von dieser Stadt schwärmte, als ob sie das Paradies wäre, was würde dies meinen Gesprächspartnern bringen? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass alle meine bisherigen Gesprächspartner,
alle haben von Cartagena geschwärmt, sich nie ab dem vorherrschenden Massentourismus gestört gefühlt haben oder gerne das Dreifache für ein Essen bezahlen. Doch niemand hat etwas derartiges auch nur ansatzweise erwähnt. Meiner Meinung nach gibt es einen Unterschied zwischen einem Realisten, welcher seine (sich nicht immer nur mit einer rosa Brille gebildete) Meinung auch offen zugibt, und einem Pessimisten, welcher alles als schlecht ansieht.
Am Nachmittag schaue ich mir den Stadtteil
Bocagrande an. Diese Landzunge beinhaltet die meisten Hotels und Wohnhäuser und beherrbergt
Cartagenas Strände. Da es während meines Aufenthaltes eher kühl und bedeckt ist, halten sich die Touristenströme in Grenzen. Ansonsten, so entnehme ich dem Internet, muss es aber Unmengen an Verkäufern haben, welche einem alles mögliche verkaufen möchten.
 |
| Mein Reiseführer sagt es richtig: "Bocagrande's beaches are mediocre at it its best." |
 |
| Immerhin konnte ich dieses Stimmungsbild machen. |
Am Abend nehme ich dann die Kamera mit, um ein paar Nightshots zu machen:
 |
| Torre del Reloj at Night |
 |
| ...und wieder sind die Touristen überall. |
Bei einem Nachtessen schmiede ich dann den Plan für die nächsten Tage. Einerseits will ich mir noch das
Castillo San Felipe de Barajas anschauen. Dieses ist das einzige heute noch bestehende Fort in
Cartagena (siehe oben) und ein Meisterwerk spanischer Kriegskunst (
Wikipedia Castillo San Felipe de Barajas). Andererseits will ich auch noch den
Playa Blanca sehen, der angeblich schönste Strand der Region, welcher aber ausserhalb von
Cartagena situiert ist.
Das Fort ist tatsächlich sehr eindrücklich. Für eine verhältnissmässige hohe Summe von fast zehn Franken wird einem Eintritt gewährt. Zugegeben, von aussen sieht es nach einem normalen Fort aus. Hört man sich aber die Geschichte dazu an und erfährt, dass das Fort beispielsweise über vier komplett voneinander abriegelbare Bereiche verfügt, welche alle separat eingenommen werden müssen, wächst der Respekt vor diesem Bauwerk. Es gibt schliesslich einen Grund, wieso das Bollwerk in mehreren Jahrhunderden nur einmal eingenommen wurde.
 |
| ...ob es wohl noch andere Touristen hat? |
 |
| Ohne Worte! |
 |
| Castillo San Felipe de Barajas |
Am Nachmittag versuche ich, einen Flug nach
Medellín, mein nächstes Ziel,
zu buchen. Auf einer Preisvergleichs Seite werde ich fündig und buche einen
One way-Flug für läpische 55 Franken. Würde ich nicht fliegen, müsste ich eine 18-stündige Busfahrt auf mich nehmen und erst noch mehr bezahlen. Kurz nach der Buchung erhalte ich ein Email, dass ich sie doch bitte anrufen soll. Ohoh! Der Herr kann leider kein Englisch und so erklärt er mir auf Umwegen, dass meine Kreditkarte nicht akzeptiert wird und ich deshalb auf einer Bank Bargeld abliefern müsse! Dies will wiederum ich nicht und so lasse ich die Buchung sausen. Auch auf der Website von
Avianca, die kolumbianische Airline, kann ich mit meinen Kreditkarten keine Flüge buchen. So rufe ich einen kolumbianischen Freund an, damit er die Buchung für mich mit seiner "einheimischen" Karte erledigt. Sofort erhalte ich ein Bestätigungsmail, dass meine Buchung erhalten wurde und bearbeitet wird.
Am letzten Tag meines Aufenthaltes in
Cartagena will ich mir wie bereits geschrieben den
Playa Blanca ansehen. Es gibt zwei Möglichkeiten; ich kann ein teures Taxi oder die umständlichen "öffentlichen Verkehrsmittel" in drei Etappen nehmen. Ich entscheide mich für die zweite Option, schliesslich will ich ja etwas erleben. Nahe des Hostels stehe ich am Strassenrand und warte auf einen dieser besagten
Collectivos. Irgendwann haltet ein Bus an und nimmt mich mit.
 |
| Fahrerkabine meines Collectivos |
Ausserhalb der Altstadt, durchqueren wir einen Fischmarkt (riecht übel) und diverse Wohnquartiere der Einheimischen. Ich bin der einzige Ausländer in diesem von Einheimischen genutzten Transportmittel und werde regelmässig neugierig betrachtet. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich tatsächlich im richtigen Bus sitze, aber irgendwann würde ich das schon sehen. Da ich die Atmosphäre nicht zerstören und einmal mehr das Bild des ultimativen Touristen festigen wollte, habe ich die Kamera bewusst im Rucksack gelassen. Interessant war die einstündige Fahrt allemal. Plötzlich hält der Bus an, und der Fahrer meint, ich müsse hier aussteigen. Ich folge seinem Rat und stehe mitten im Nirgendwo. Sofort kommt ein kleines Mädchen zu mir und sagt, ich solle ihr folgen. Sie würde mir zeigen, wo ich die Fähre nehmen muss. Auch ihr folge ich mit viel Gottvertrauen und hoffe einfach, dass ich nicht verschleppt werde. Nach 100 Metern stehen wir vor einem kleinen Fluss mit diversen Booten. Das andere Ufer ist gut zu sehen, überall warten Männer mit Motorrädern. Nachdem ich realisiere, dass mich das Mädchen abzocken will und sowohl für die Fähre als auch das Motorrad-Taxi einen saftigen Zuschlag erhebt, frage ich bei einem anderen Mann nach. Er bestätigt meine vermuteten Preise und das Mädchen schaut ziemlich dumm aus der Wäsche. Am andern Ufer angekommen nehme ich ein Moto-Taxi und fahre ohne Helm, schliesslich sind wir in Kolumbien, in 20 Minuten an den Strand. Was ich dort antreffe, entspricht nicht ganz meinen Erwartungen. Laut Berichten sieht der
Playa Blanca so aus:
 |
| So sieht es normal aus... |
Und so habe ich den Strand angetroffen:
 |
| Playa Blanca, meine Version |
Kein Schwein ist hier und alle Restaurants und Bars sind entweder nur geschlossen oder sogar geflutet. Das Meer ist eine richtige Bestie, überall liegt Treibholz herum. Offenbar herrscht irgendwo ein Sturm, dessen Auswirkungen auch hier zu sehen sind. Cartagena scheint es wirklich nicht gut mir mir zu meinen! Nachdem ich eine geöffnete Bar finde und etwas trinke, gehe ich nach nicht einmal einer Stunde Aufenthalt wieder zurück nach
Cartagena. Auf diesem Ausflug war eindeutig der Weg das Ziel... Im Hostel angekommen sehe ich ein Email, dass mein Ticket nach
Medellín noch nicht verifiziert werden konnte, ich solle doch bitte anrufen. Nicht schon wieder! Mein Freund erledigt dies für mich, jedoch kann er dies erst am Abend tun. So erhalte ich um 8 Uhr abends endlich mein E-Ticket, welches mir das Verlassen
Cartagenas ermöglicht.
Abschliessend habe ich das Gefühl, dass
Cartagena alles unternommen hat, um mir nicht zu gefallen. Von niemandem habe ich bisher so negative Dinge gehört und allen, die den
Playa Blanca besucht haben, kann ich mit diesen Bildern ein ungläubiges Staunen entlocken.
Weiterhin viel Spass in der Touristenhochburg, ich gehe nach
Medellín!